Daten sind das neue Öl, das neue Gold und das neue Grundwasser. Bilder wie diese bestimmen seit Jahren den öffentlichen Diskurs rund um die weltweit rasant zunehmenden Datenmengen und deren Verwertung. Es gibt wenige IT-bezogene Aspekte, die so vielen Analogien ausgesetzt sind wie Daten. So setzt auch die im Februar 2020 veröffentlichte Datenstrategie1 der Europäischen Kommission auf eine Reihe von Bildern und Analogien, um die Ziele der Strategie zu beschreiben.

Eine Gemeinsamkeit aller Daten­metaphern: Vom praktischen Umgang mit Daten sind sie in der Regel weit entfernt. Unter Software­entwicklern, Administratoren und Daten­analysten herrscht ein nüchterneres Verständnis. Das Lexikon der Informatik definiert Daten beispielsweise als “alles, was sich in einer für die Datenverarbeitungsanlage, den Computer, erkennbaren Weise codieren, speichern, verarbeiten und transportieren lässt, also abstrahierte und “computergerecht” aufbereitete Informationen”2. Etwas lebendiger könnte man auch sagen: Daten repräsentieren bestimmte Ausschnitte einer in Software abgebildeten Welt.

Dass man mit solchen abstrakten Beschreibungen im politischen Diskurs schwer überzeugen und keinen Preis für die knackigste Headline gewinnen kann, sollte klar sein. Dass die blumigeren Datenmetaphern jedoch mehr als rein sprachlich-stilistische Mittel sind, erschließt sich erst bei einem näheren Blick auf die Funktionen von Metaphern.

Die Macht der Metaphern

Die Linguisten und Philosophen Georg Lakoff und Mark Johnson legen nahe, dass unser Verständnis der Welt stärker mit Metaphern zusammenhängt, als man lange Zeit geglaubt hat3. Sie haben sogenannte konzeptuelle Metaphern als eine Art Blueprint beschrieben, der in vielen Fällen unbewusst unser Denken und Handeln grundlegend beeinflusst.

Bezogen auf technische Neuerungen erscheint das besonders plausibel. Wir beschreiben das Neue durch das Bekannte und erschließen uns Bedeutungen durch Analogien. Welches Bekannte jedoch zugrunde gelegt wird, kann maßgeblich beeinflussen, wie wir das Neue verstehen und behandeln. Es ist deshalb nicht unerheblich, welche Metaphern sich in breiter Front durchsetzen. Welche Auswirkungen Daten­metaphern im Besonderen haben können, fassen Tim Hwang und Karen Levy in dem Artikel ‘The Cloud’ and Other Dangerous Metaphors treffend zusammen:

[…] metaphors matter because they shape laws and policies about data collection and use. As technology advances, law evolves (slowly, and somewhat clumsily) to accommodate new technologies and social norms around them. The most typical way this happens is that judges and regulators think about whether a new, unregulated technology is sufficiently like an existing thing that we already have rules about—and this is where metaphors and comparisons come in.4

Diese Einflussnahme der Metaphern betrifft nicht nur regulatorische Prozesse. Auch auf Unternehmens­ebene kann die Wahl der Terminologie beeinflussen, wie Daten betrachtet werden und welche Praktiken sich im Umgang mit ihnen entwickeln.

Natürliche Kraft und verbrauchbare Ressource

Metaphern, die den Umgang mit Daten beschreiben, haben bereits breite Aufmerksamkeit erhalten5. Cornelius Puschmann und Jean Burgess heben zum Beispiel in dem 2014 veröffentlichten Aufsatz „Metaphors of Big Data“6 zwei konzeptuelle Metaphern hervor, die auch heute noch weit verbreitet sind.

Zum einen werden Daten beschrieben als natürliche Kraft, die es zu kontrollieren gilt. In diese Bilderwelt fallen Begriffe wie die Datenflut, der Datenstrom, die Datenwelle und die Datenquelle.

Zum anderen werden Daten als eine zu verbrauchende Ressource dargestellt. In diese Kategorie fällt der immer wieder herangezogene Treibstoff-Vergleich, der auf mehreren Ebenen hinkt. Daten sind eben keine endliche Ressource, im Gegenteil: Daten lassen sich leicht vervielfältigen und werden durch eine Nutzung nicht verbraucht.

Ganz ohne solche etablierten Framings kommt auch die Beschreibung der europäischen Daten­strategie nicht aus, wie folgende Beispiele zeigen:

Mit jeder neuen Datenwelle bieten sich der EU große Möglichkeiten, in diesem Bereich weltweit führend zu werden.1

Hier wird das Bilder der wiederkehrenden Wellen als natürliche Kraft eingesetzt, um künftige Chancen zu versprechen (siehe auch Über die Wellen der Digitalisierung). In einer Reihe weiterer Passagen wie der Folgenden wird das Adjektiv datengetrieben verwendet, das implizit an der Treibstoff-Metapher andockt.

Europa sollte ein Umfeld bieten, das datengetriebene Innovationen unterstützt und die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen stimuliert, die auf Daten als wichtigen Produktionsfaktor setzen.

Neben dieser konventionellen Bildsprache nutzt das Papier aber auch folgende Konzepte und Analogien, die bislang deutlich weniger ausgetreten sind.

Grenzziehung durch Datenräume

Ein zentraler Begriff der EU Daten­strategie ist der des Datenraums. Das Raumkonzept dient dabei in erster Linie als Mittel zur Abgrenzung. Einerseits, um den Umgang mit Daten in Europa von den USA und China abzugrenzen. Andererseits, um wiederum innerhalb des europäischen Raums sektorspezifische Datenräume - zum Beispiel für Industrie-, Gesundheits- und Mobilitätsdaten - zu etablieren. So heißt es bezüglich der Zielsetzung der Strategie:

Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Datenraums, eines echten Binnenmarktes für Daten, der für Daten aus aller Welt offensteht […]

Die Ankündigung zur Schaffung eines eigenen Raums bzw. Daten-Binnenmarktes lässt sich als eine neue Grenzziehung verstehen. Es gibt demnach keinen ungehinderten weltweiten Datenfluss mehr, sondern Grenz­übergänge von einem Raum in den anderen. Wer den neu entstehenden Raum betritt, muss sich an Regeln halten, die in diesem Raum gelten. Die Türen stehen an sich offen, aber es gibt eine Eingangs­kontrolle, die von den Inhabern des Raums beliebig gestaltet werden kann.

Wie die Datenräume konkret aussehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Zu erwarten ist eine Kombination aus technischen und rechtlichen Vorgaben.

Daten als lebensstiftendes Element

Darüber hinaus zeichnet die Datenstrategie ein weiteres Bild, das vielleicht am deutlichsten in einem Abschnitt über Daten für Wirtschaft und Gesellschaft hervortritt. Dort heißt es:

Daten sind die Lebensader der wirtschaftlichen Entwicklung

Das Bild der Lebensader (engl. lifeblood) rückt die Daten­wirtschaft näher an den Menschen und seine Umwelt. Es passt damit hervorragend zur Ziel­vorstellung der Kommission, “dass der Mensch im Mittelpunkt steht und stehen sollte”. Und es spielt implizit auf Anwendungs­bereiche an, in denen der Mensch vielleicht am stärksten von den neuen technischen Entwicklungen profitieren kann: der personalisierten Medizin, die auf einer soliden Datengrundlage auf individuellere Behandlungen abzielt.

Daten werden im Gegensatz zur Treibstoff-Metapher nicht als verbrauchbare Ressource charakterisiert, sondern als pulsierende lebensstiftende Kraft. Das ist ein entscheidender Richtungswechsel, der ganz andere Botschaften vermittelt.

Das Treibstoff-Bild suggeriert, dass etwas beschafft werden muss und zum eigenen Vorteil gehortet und genutzt werden kann. Die Lebensader hingegen etwas, das inhärent schon vorhanden ist, aber wesentlich daran teilhat, das Bezeichnete - die wirtschaftliche Entwicklung - aufblühen zu lassen. Das Bild schreibt Daten eine noch mal höhere Bedeutung zu. Es stellt sie jedoch gleichzeitig auch als unersetzlich und alternativlos dar.

Weitere Konzepte der Strategie lassen sich an diese neue Sichtweise auf Daten andocken. Eines davon ist der Datenaltruismus. In einer Auflistung von Problemen, die der neue Rahmen der Daten­strategie lösen soll, heißt es:

Erleichterung für Einzelpersonen, im Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung die Nutzung der von ihnen erzeugten Daten zum Wohl der Allgemeinheit zu gestatten, wenn sie dies wünschen („Datenaltruismus“).

Hinter dem etwas sperrigen Begriff des Datenaltruismus stecken Konzepte wie die Datenspende. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Corona-Datenspende-App7 des Robert-Koch-Instituts - eine Ergänzung zur Corona-Warn-App. Nutzer/innen der App können damit Daten eines Fitness­armbands oder einer Smartwatch der Forschung zur Verfügung stellen.

Die Datenspende ist ein repräsentatives Beispiel für den europäischen Weg. Eine Spende ist ein freiwilliger, bewusster Akt. Der Mensch behält die Hoheit über seine Daten. Gleichzeitig beschwört das Bild aber auch eine moralische Verpflichtung herauf. Als Analogie zur Blutspende und Organspende schließt sich mit der Datenspende der Kreis zur Lebensader-Metapher.

Fazit

Das Konzept des Datenraums und die Metapher der Lebensader zeigen deutlich, wie sich die Beschreibung von Daten an politischen Zielen ausrichtet. Inwieweit sich diese unverbrauchten Bilder durchsetzen werden, wird sich zeigen. Bis dahin werden wir weiterhin den Relikten konventioneller Datenmetaphern begegnen. So sagte Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union am 16. September 2020:

Industriedaten sind Gold wert, wenn es darum geht, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.8

Da sind wir nun doch wieder beim Gold und dem Vergleich mit einer wertvollen, begehrten und in begrenztem Umfang verfügbaren Ressource. Ein Wandel etablierter Rhetorik vollzieht sich eben nicht von heute auf morgen.