Das Adjektiv deep - engl. für tief, tiefgründig - hat relativ unscheinbar eine weite Verbreitung in unterschiedlichen IT-Kontexten gefunden. Es begegnet uns in Marken- und Produktnamen wie DeepL und Deep Nostalgia, in Startup- und Branchen­bezeichnungen wie Deep Tech (siehe auch -tech) sowie im Zusammenhang mit den Schatten­seiten synthetischer Medien in Form von Deepfakes.

Ein offensichtlicher Grund für die Verbreitung ist der Siegeszug des Deep Learning, jenes Zweigs des maschinellen Lernens, der maßgeblich für eine Reihe von bahnbrechenden Erfolgen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) verantwortlich ist1. Deep Learning brachte deutliche Fortschritte in der maschinellen Sprach­verarbeitung und Bild­erkennung und sorgte für den Durchbruch in wissenschaftlichen Frage­stellungen wie der Vorhersage von Protein-Faltungen2.

Die Verwendung von deep in einer Marken­bezeichnung oder einer Kategorie­beschreibung verweist in vielen Fällen auf das Deep Learning als zugrunde­liegende Technologie. In der Wikipedia sind Deepfakes zum Beispiel folgender­maßen definiert:

Deepfakes (engl. Koffer- oder Portemanteau-Wort zusammengesetzt aus den Begriffen „Deep Learning“ und „Fake“[1]) beschreiben realistisch wirkende Medieninhalte (Foto, Audio und Video), welche durch Techniken der künstlichen Intelligenz abgeändert und verfälscht worden sind.3

So eine integrierte, verkürzte Form von Technologie­bezeichnungen ist bei der Namens­gebung von IT-Begriffen nicht unüblich. Wir finden sie zum Beispiel bei der Telemedizin, die einen Verweis auf die Telematik im Namen trägt.

Im Kontext der KI tauchte der Begriff Deep Learning erstmals 1986 in einem Paper auf, wurde dort jedoch in einem völlig anderen technischen Zusammenhang verwendet als heute. Im Kontext von Machine Learning und Künstlichen Neuronalen Netzen wurde der Begriff erstmals um die Jahrtausend­wende genutzt. Zu dieser Zeit war das Wort deep in der KI-Community jedoch bereits durch ein historisches Ereignis fest verankert und deutlich positiv konnotiert.

Supercomputer, Schach und maschinelle Intelligenz

image-right Im Jahr 1997 fand ein Schlüssel­ereignis in der KI-Historie statt, das seit Kurzem sogar auf einer Briefmarke verewigt ist. Der Schachcomputer Deep Blue siegte gegen den damals amtierenden Schach­weltmeister Garri Kasparow. Seit Jahrzehnten zuvor hatten sich etliche Informatiker und Mathematiker mit der Heraus­forderung von Schach­programmen befasst - darunter nahezu alle Pioniere der Computer­entwicklung, von Alan Turing über Claude Shannon bis hin zu John von Neumann.

Der Erfolg von Deep Blue gilt als wichtiger Meilenstein der KI-Entwicklung. In dem Wettstreit zwischen Mensch und Maschine war ab diesem Moment klar, dass zumindest im Schach der Mensch verliert. IT-Entitäten jedweder Art mit deep im Namen erben damit potenziell die Assoziation, ähnlich wie Deep Blue bestimmte Fähigkeiten des Menschen zu übersteigen.

Der Namens­ursprung von Deep Blue ist dabei tief in der Computer­kultur verankert. Bevor der Entwickler des Schach­computers, Feng-hsiung Hsu, mit seinem Team zum “blauen” Konzern IBM wechselte, trug die Maschine noch den Namen Deep Thought. Sie war benannt nach dem Supercomputer aus Douglas Adams Roman Per Anhalter durch die Galaxis. Dort berechnet Deep Thought 7,5 Millionen Jahre eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, die seinen Erbauern nur einen sehr überschaubaren Erkenntnis­gewinn bringt:

‚Alright,‘ said Deep Thought. ‚The Answer to the Great Question…‘
‚Yes…!‘
‚Of Life, the Universe and Everything…‘ said Deep Thought.
‚Yes…!‘
‚Is…‘ said Deep Thought, and paused.
‚Yes…!‘
‚Is…‘
‚Yes…!!!…?‘
‚Forty-two,‘ said Deep Thought, with infinite majesty and calm.4

Ähnlich unklar wie die Antwort auf die große Frage ist die Bedeutung des Siegs von Deep Blue für die maschinelle Intelligenz. Garri Kasparow zeigte zunächst jedenfalls wenig Ehrfurcht gegenüber der siegreichen Maschine:

Deep Blue was as intelligent as an alarm clock, though losing to a 10 million dollar alarm clock did not make me feel any better.5

Während Deep Blue als spezialisierter Supercomputer eine Insel­begabung für das Schachspiel mit sich brachte, setzt das 2010 gegründete und 2014 von Google übernommene Unternehmen DeepMind auf einen umfassenderen Ansatz:

Our long term aim is to solve intelligence, developing more general and capable problem-solving systems, known as artificial general intelligence (AGI).6

Hier setzt sich die von Douglas Adams inspirierte Namens­gebung der Deep-Supercomputer fort.

Von der Forschungstiefe bis zum Tanzexzess

Während bei Deepfake, Deep Blue und Deep Mind ein klarer KI-Bezug vorliegt, ist im Startup-Umfeld von Deep Tech die KI nur einer von vielen möglichen Bezugs­punkten. Obwohl es keine verbindliche Definition gibt, meint Deep hier in der Regel allgemeiner eine Technologietiefe, die einen substanziellen Forschungs­aufwand erfordert7. Der Berliner Deep Tech Award8 setzte 2021 neben Künstlicher Intelligenz zum Beispiel auf die Kategorien Internet of Things & Industrie 4.0, Blockchain, IT-Security und Social/Sustainable Tech.

Hier zeigt sich ein wenig die Beliebigkeit, die hinter allzu generischen Bezeichnungen steckt. Zu Deep Tech lässt es sich nämlich offenbar auch sehr gut tanzen. Neben all den technischen Bezügen bezeichnet der Begriff auch ein Musik-Genre, das aus der Londoner House-Szene hervorgegangen ist9.