Cyber ist so etwas wie der Rockstar unter den Digitalisierungs­buzzwords. Es ist nicht nur eine der ältesten Vorsilben für die Konstruktion immer wieder neuer Begriffe, die nahezu beliebige Digital­phänomene beschreiben. Es ist auch seit Jahrzehnten in fiktionalen Entwürfen etabliert, seien es Filme, Romane oder Computerspiele. Die restliche Digitalisierungs­rhetorik, von Smart über Tele bis Tech, verblasst im Kontrast dazu. Grund genug, einen näheren Blick auf den Ursprung von Cyber und die aktuellen Ausprägungen in der Medien­landschaft zu werfen.

Begriffsherkunft

Die Cyber-Vorsilbe ist ein Spross der sogenannten Kybernetik (engl. cybernetics). Der US-amerikanische Mathematiker Norbert Wiener etablierte die Disziplin Ende der 1940er Jahre als the scientific study of control and communication in the animal and the machine1. Das Wort ist von dem griechischen Verb κυβερνάω abgeleitet, das so viel wie steuern oder leiten bedeutet2. Die Kybernetik regte nicht nur die Fantasie vieler Wissenschaftler an, sondern erhielt seit ihren Anfängen auch große mediale Aufmerksamkeit.

Einen Überblick über die Entstehung des Cyber-Mythos und seiner verschiedenen Ausprägungen in den vergangenen Jahrzehnten gibt der Politik­wissenschaftler Thomas Rid in Rise of the machines - A Cybernetic History3. Darin hält er über die Cyber-Vorsilbe fest:

The prefix “cyber-“ has proved perennially attractive for the past seventy years, from cybernation to cyborgs, from cyberculture to cyberspace, from cyberpunk to cyberwar. […] But this perennial hunger for trendy words holds a warning: they are ephemeral and always have been. Many of these phrases have already receded into history.

Doch auch wenn einige der Cyber-Wortbildungen mittlerweile nur noch schwach glühen wie die ausgebrannten Feuer vergangener Hypes, so bleibt die Vorsilbe Cyber eines der häufigsten Hilfsmittel für Wortbildungen im Digitalisierungs­kontext. Ein Zeugnis davon gibt die Google News Suche, die zu einem Suchbegriff Nachrichten und Artikel aus diversen Medien auflistet.

Cyber in den Schlagzeilen von 2020

Das folgende Diagramm gibt einen Überblick, welche Cyber-Begriffs­kombinationen im Jahr 2020 wie oft in den Titeln und Kurzbeschreibungen der von Google News erfassten Artikeln vorkamen:

BarChart zur Häufigkeit der Cyber-Begriffe 2020

Wie kam diese Grafik zustande? Ausgangspunkt war eine Google News Suche nach cyber - eingeschränkt auf “Seiten auf Deutsch” und den Zeitraum vom 1.1.2020 bis zum 31.12.20204. Die HTML-Seiten der 200 bis 300 Ergebnisse wurden anschließend mit einem selbst geschriebenen Prolog-Programm geparst, das alle Funde aus den Titeln und Kurz­beschreibungen in einer CSV-Datei abgelegt hat. Die Datei wurde manuell bereinigt, um z.B. einzelne Vorkommnisse von Cyber ohne Kombinations­wort zu entfernen. Die Darstellung der Daten als Balkendiagramm erfolgte mit Hilfe von Vega-Lite.

Trotz der großen Vielfalt an Begriffs­paaren lassen sich folgende thematische Cluster ausmachen:

  1. Krieg: Ein Großteil der Cyber-Begriffe weist einen Bezug zur Kriegs­führung auf. Dazu gehören unter anderem die Cyber Attacke, Cyber Dschihadisten, Cyber Gegenangriffe sowie der Cyber Krieg, das Cyber Batailon und die Cyber Abwehr. Dieser Cluster liegt sehr nah an den Ursprüngen der Kybernetik. Eine wesentliche Inspirations­quelle von Norbert Wiener zur Entwicklung der Disziplin waren seine Arbeiten an Flugabwehr­systemen.
  2. Kriminalität: Nicht weit entfernt von der Kriegs­metaphorik ist ein Cluster, der den Bedarf für Cyber Security schürt. Hier ist die Rede von Cyber Kriminellen, Cyber Betrügern, Cyber Delikten, Cyber Verbrechen, Cyber Erpressern, Cyber Crime und dem Cyber Untergrund. Relativ prominent war 2020 auch das Cyber Grooming. Die Cyber Cops haben offenbar viel zu tun.
  3. Konsum: Ein weiterer Cluster formiert sich um den Cyber Monday - einen Rabatt-Tag, den US-amerikanische Online-Händler 2005 ins Leben gerufen haben und der in den vergangenen Jahren auch nach Europa geschwappt ist. Der Cyber Monday taucht insgesamt am häufigsten auf, was wohl mit der gezielten Kampagne rund um den Tag zusammenhängt. Eng damit verbunden sind die Cyber Week, das Cyber Weekend, und der Cyber Sale.

Darüber hinaus gibt es weitere Kombinationen, die eher isolierte Phänomene bezeichnen. Dazu gehört zum Beispiel der Cyber Apostel Carlo Acutis - ein 2006 verstorbener Teenager, den die katholische Kirche 2020 selig gesprochen hat.

Cyber bleibt aktuell

Die Analyse der Google News Einträge zeigt, dass das Cyber-Präfix alles andere als aus der Mode gekommen ist. Diesen Umstand nutzen nicht nur Journalisten. Auch die Politik setzt den Begriff seit Jahren gezielt für neue Initiativen ein. So hat Deutschland bereits 2011 einen Nationalen Cyber-Sicherheitsrat eingerichtet. Seit 2017 unterhält die Bundeswehr ein Cyber Innovation Hub. Und erst im vergangenen Jahr wurde von der Bundesregierung eine neue Cyber Agentur ins Leben gerufen5.

Faszinierend dabei ist vor allem, wie zeitlos Cyber in all den Jahrzehnten seit seiner Entstehung erscheint. Auch wenn manche Cyber-Wortbildungen wie Cyberspace mit den Jahren verblassen, bleibt das Präfix an sich stets aktuell. Es ist als Bezeichner für etwas Zukünftiges so stark in unserer Kultur verankert, dass es allem, was mit ihm in Berührung kommt, einen futuristischen Anstrich verleiht. So wird uns Cyber wohl auch in den kommenden Jahrzehnten bei der Beschreibung neuer Digital­phänomene sowie dem Entwurf utopischer und dystopischer Mensch-Computer-Szenarien weiter begleiten.


  1. Wiener, Norbert: Cybernetics Or Control and Communication in the Animal and the Machine. Cambridge: MIT Press, 1961. 

  2. https://en.wiktionary.org/wiki/%CE%BA%CF%85%CE%B2%CE%B5%CF%81%CE%BD%CE%AC%CF%89 

  3. Rid, Thomas: Rise of the Machines: A Cybernetic History. New York: W. W. Norton & Company, 2016. 

  4. https://www.google.com/search?q=cyber&lr=lang_de&tbs=lr:lang_1de,cdr:1,cd_min:1/1/2020,cd_max:12/31/2020,sbd:1&tbm=nws&source=lnt&sa=X 

  5. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/08/startschuss-cyberagentur.html